Anders als in Moskau und Mumbai, in der wir der existentiellen Angst der Bewohner begegnen aber kaum der unseren, wird sie uns in Sao Paulo mit jedem Schritt hinaus begleiten, auf eine kalte Art, die uns immer ein wenig lächerlich erscheinen lässt. Wir versuchen unser Risiko einzudämmen, wenn wir Fremden folgen, wenn wir mit unserer Kamera durch unbekannte Strassenzüge irren.
Wir lassen uns No-Go-Areas sagen, wir drehen in keiner Favela ohne einheimische Begleitung. Aber im Grunde sind wir Hühner auf Safari. Wir sind der Stadt nicht gewachsen. Wir werden ihr auch nie gewachsen sein. Genauso wenig im übrigen, und hier versagt das Safaribild, wie die Einwohner selbst. Sie fürchten sich in den Favelas, in denen sie aufgewachsen sind, sie trauen sich in ihrer eigenen Stadt nicht aus dem Haus und vor allem nicht in bestimmte Viertel. Sie haben meistens Erfahrung mit Gewalt und die hat sie nicht mutiger gemacht, sondern traumatisiert. Jede dieser Städte ist auf ihre eigene Art ein Überlebenstest. Durch die Grösse der Städte und die Masse der Bewohner werden die Bedingungen unseres Seins so potenziert, dass sie monströs erscheinen. Die Megastadt ist, wie in den Science-Fiction Filmen, die selbstgeschaffenen Kreatur, die wir nicht mehr kontrollieren. Sie ist, genau deshalb so unglaublich anziehend. Oder so abstossend. Denn was sehen wir? Entdecken wir uns in dieser Schöpfung neu? Bewegen wir uns in ihr wie einst in den Dschungeln und erforschen nicht neues Leben, sondern unser neues Sein? Sehen wir eine neue Freiheit, oder (Sub-)Kultur? Oder entdecken wir bei diesen Streifzügen nur wieder und wieder die selbe Art der Armut, die selbe Art Reichtum, dieselben Versuche der Träume und des Überlebens, sind wir also Zeugen einer Welt im Globalisierungswahn aus der das Fremde verschwindet und das Bekannte zur Fratze wird, die einem wieder und wieder begegnet?
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände und das Gewaltpotential das aus den Favelas, sicher auch aufgrund der Drogenmafia, heraus schwappt und Sao Paulos Reiche in Hubschrauber flüchten lässt hat wenig zu tun mit den vergleichsweise friedlichen Slums die in Mumbai an jede reiche Gegend andocken. In Shanghai wird jede Slumbildung radikal verhindert und alte Häuser die Nischen bieten würden für inoffizielles Wohnen einfach abgerissen. In Moskau darf nur wohnen wer arbeitet, andernfalls erhält man, auch als Russe, keine Aufenthaltserlaubnis. Andererseits zeichnet sich die offensichtliche Globalisierung eben da ab, wo das Geld ist. Die reichen Gegenden dieser Städte sind tatsächlich oft schwer voneinander zu unterscheiden und natürlich sind es die globalen Marken und die Werbung die dieses Strassenbild uniformiert. Diese Gegenden sind von einer erstickenden Langeweile und es wird einem schaurig zumute bei dem Gedanken, dass so die Welt aussehen soll, in der alle leben wollen. Wenn es eins nicht gibt an solchen Orten dann ist es Leben, die wirkliche Konsequenz solcher Wohnvision wäre die Besiedelung der internationalen Airports.
Nach einigen Belästigungsversuchen, wie man unsere Kontaktaufnahmen in den reichen Gegenden Sao Paulos bezeichnen muss, geben wir auf. Unser Konzept beruht auf einem Minimum gegenseitiger Neugier, man kann sie nicht erzwingen. Die völlige Abstinenz jeglicher Neugierde auf irgendjemand und irgendwas ist im Grunde nachvollziehbar, alles was man sich wünschen könnte kann man sich kaufen, irgendein dahergelaufener Mensch kann einem sicher nichts von Interesse bringen, sondern nur umgekehrt Interesse haben zu nehmen. Der Unbekannte (also Andersartige) ist ein Dieb, der Gleichartige uninteressant weil man sowieso weiss was er will: das selbe wie man selbst. Also müssen wir dahin, wo wir nicht nur eventuell belästigen sondern uns auch noch tatsächlich gefährden.. Arme zeugen von einem Äusserungsbedürfnis ihrer Bewohner; sie sind lesenswürdig. Reiche Menschen haben ja meist einen Platz in der Öffentlichkeit und verstecken und umzäunen sich daher eher in einer Öffentlichkeit die sich ihrer Kontrolle entzieht (Straße), das heißt sie wollen gar nicht unkontrolliert gelesen werden. Im Gegensatz zu armen Menschen, die ihre Existenz in der ihr zugänglichen Öffentlichkeit, also der Straße, demonstrieren wollen und müssen. Durch laute Musik, Graffiti, Stände oder einfach durch Strassenlungern. Das heisst nicht, dass es keine unsichtbaren Zäune gibt um die Stätten der Armen, auch sie wollen nicht, dass jeder einfach hineinlatscht in ihre Reviere und es gibt kaum einen wirkungsvolleren Zaun um die Favelas, als die Angst vor der Gewalt.