Die erfolgreichste deutsche Dramatikerin Dea Loher am 31. Oktober 2014
in der 8. Leipziger Poetikvorlesung über „the visitor“. „(…) über zwei Arbeiten zu sprechen, von zwei Künstlern – einer jungen Frau und einem schon älteren Mann. Das sind Arbeiten, mit denen ich selbst noch nicht so lange vertraut bin, die aber für mich in kurzer Zeit sehr wichtig geworden sind. Und ich habe die Einladung zu dieser Vorlesung als Anlaß genommen, mir Gedanken darüber zu machen, warum das so ist, warum genau diese beiden Arbeiten so besondere sind, und an diesen Gedanken will ich Sie gerne teilhaben lassen.“
(…)Auf einer abstrakten Ebene ermöglicht der Film den Beteiligten, ihr eigenes Leben mit den Augen eines Fremden zu sehen. Und in diesem eigenen Leben dabei gleichzeitig zu agieren wie in einer Fiktion.
Es ist die Form dieses filmischen Experiments, die die Beteiligten zur Reflexion nötigt, und so eine Art von Selbsterkennung als Prozeß als Möglichkeit generiert – nicht eine Selbsterkenntnis als Ergebnis. Die Form, weil sie nicht abgesichert ist, eröffnet die Möglichkeit. Die Möglichkeit bleibt eine Möglichkeit, sie muß nicht abgeschlossen werden, muß zu keinem Ergebnis führen. Beide, Besucherin und Besuchte/r schaffen ihre Geschichte in jedem Moment oder entwerfen sie allmählich, und wissen, daß sie sie entwerfen. K. geht durch den Film fast wie durch eine Traumwelt, die sie so nur finden kann, weil sie nicht spricht. Sie erschafft sie durch Stummheit. Und auch die Personen, denen sie begegnet, erschaffen ihr Leben in gewisser Weise neu oder noch einmal, indem sie die Stumme definieren, in ihrer Funktion für sich.Sie schaffen also ihre eigene Fiktion, die aber real ist. Es ist ein Film, es ist kein Film, gleichzeitig. Es ist diese schwebende Doppeldeutigkeit, die den Film so faszinierend macht; weil er damit auch dem Zuschauer die Denk- und Handlungsspielräume in seinem eigenen Leben bewußt macht und sie ihm zurückgibt. Die Wirklichkeit ist nicht nur so, wie wir sie vorfinden und nicht nur die, in die wir uns einzupassen haben, sondern wir schaffen sie durch unsere Imagination. Der Film gibt dem Zuschauer die Freiheit zurück, die in seiner Vorstellungskraft liegt. (..)